Sport ist ein kulturelles Tätigkeitsfeld,
in dem Menschen sich freiwillig in eine Beziehung zu anderen
Menschen begeben, um ihre jeweiligen Fähigkeiten und
Fertigkeiten in der Bewegungskunst zu vergleichen - nach selbst
gesetzten oder übernommenen Regeln und auf Grundlage der
gesellschaftlich akzeptierten ethischen Werte.
"Sport" is a cultural field of activity in
which people voluntarily enter into a relationship with other
people in order to compare their respective abilities and skills
in the art of movement - according to self-imposed or adopted
rules and on the basis of socially accepted ethical values.
Sport est un domaine d'activité culturelle, dans lequel
les gens s'engagent volontairement dans une relation avec
d'autres personnes afin de comparer leurs capacités et
compétences respectives dans l'exercice physique adroit -
selon des règles auto-établies ou
héréditaires et sur la base des valeurs
éthiques socialement acceptées.
Eine ähnliche Sport-Definition ist von
mir im Januar 2002 erstmals ins Internet gestellt und seither
mehrfach überarbeitet worden. Sie ist einfach ein
Vorschlag, den ich hiermit zur Diskussion stelle. Ich
überarbeite den Text - sowohl die Definition als auch
(natürlich) die Erläuterungen - immer wieder
gründlich. Ich hoffe, dass er einfacher, verständlicher
wird, ohne an Genauigkeit und Differenziertheit
einzubüßen. Eine ausführlichere
Auseinandersetzung mit der Literatur
(Auswahl; siehe Punkt 4, am Schluss!) habe ich noch vor. Diesen
Text gibt es auch als pdf-Datei. Außerdem habe ich ihn ins Englische
übersetzt.
Im Folgenden begründe ich erstens, warum und
wie ich "Sport" definiere, zweitens erörtere ich Grenzen und
Nutzen meines Definitionsvorschlags, und drittens erläutere
ich die einzelnen Elemente meiner Definition.
1. "Sport" definieren - warum und
wie?
Sport zu definieren ist schwierig. Dies wird an
vielen Beiträgen zum Sportbegriff deutlich, die meistens
vage und unpräzise sind. Als repräsentatives Beispiel
zitiere ich Peter Röthigs und Robert Prohls Beitrag von 2003
zum Stichwort "Sport" im "Sportwissenschaftlichen Lexikon" (S.
493): "Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich S. zu einem
umgangssprachlichen, weltweit gebrauchten Begriff entwickelt.
Eine präzise oder gar eindeutige begriffliche Abgrenzung
läßt sich deshalb nicht vornehmen." In der
Kernaussage steht es so schon seit 1983 im
"Sportwissenschaftlichen Lexikon". Diese Kapitulation vor der
notwendigen begrifflichen Anstrengung oder gar die
Erklärung, sie sei von vornherein ein nicht sinnvolles
Unterfangen, weil unmöglich, halte ich für einen
folgenschweren Gedankenschritt, der die deutschsprachigen
Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte meines Erachtens
negativ bestimmt hat.
Grundsätzlich muss meines Erachtens
jeder Wissenschaftler einen möglichst klaren Begriff vom
Gegenstand seiner Wissenschaft haben und ihn in seinen
Veröffentlichungen erläutern. Die Vorstellung,
ein Physiker hätte keinen genauen Begriff von Physik, ein
Jurist keinen von Recht usw., dürfte allen Menschen
merkwürdig erscheinen. Genau dies wird aber von den meisten
und einflussreichsten Sportwissenschaftlern in Deutschland (und
auch von einigen in anderen Ländern und Kulturen) für
normal bzw. sogar für normativ erklärt.
Die Folge sind wissenschaftliche Arbeiten, in denen
alles Mögliche zu "Sport" gerechnet wird, selbst etwas
meines Erachtens so Absurdes wie "Gesundheitssport". Verbunden
damit, dass entsprechend der herrschenden Auffassung
(repräsentiert im "Sportwissenschaftlichen Lexikon") eine
klare Begrifflichkeit von den meisten Sportwissenschaftlern gar
nicht erst angestrebt wird, entstehen auf solche Weise
völlige Beliebigkeit und Unklarheit im
sportwissenschaftlichen Diskurs.
Wer sich mit dieser Entwicklung (bzw. mit diesem
inzwischen vorherrschenden Zustand) nicht abfinden mag, muss sich
dem mühevollen Unterfangen stellen, "Sport" (als zentralen
Gegenstandsbegriff der Sportwissenschaft) zu klären; er muss
seinen Umfang bzw. seine Grenzen bestimmen, und das heißt:
"Sport" definieren. Und eine solche (Arbeits-) Definition muss
jeder Wissenschaftler öffentlich bekannt geben. Dies tue ich
hiermit in der Hoffnung auf fördernde Resonanz aller derer,
die sich um klare Begriffe in den Kulturwissenschaften
bemühen. (Vgl. die weiter unten erwähnte und
zitierte Begriffsbestimmung von "Bewegungskultur" sowie meine
weiteren Definitionsvorschläge zu "Kunst", "Gewalt" und "Aggression"
sowie "Olympismus" und "Frieden".)
Eine Definition soll die Bedeutung
eines Begriffs bestimmen, festlegen, ein- bzw. abgrenzen. Zur
Klarstellung gleich vorweg: Eine Definition als eine Vorschrift
o. Ä. zu begreifen, wäre ein Missverständnis.
Jeder denkende Mensch bildet sich seine je eigene Meinung und
benutzt Worte in seiner je eigenen Bedeutung. Dies sollte man
aber nicht subjektivistisch oder konstruktivistisch
übertreiben. Wir sind gesellschaftliche Wesen, auf Austausch
und Verständigung mit anderen Menschen angelegt, in der
Wissenschaft sowieso. Wenn wir uns aber mit anderen Menschen
verständigen wollen, die ja ihren eigenen Wortgebrauch
haben, müssen wir - selbst in einem nicht völlig
belanglosen Alltagsgespräch - unseren (jeweiligen)
Wortgebrauch klären, zumindest auf Nachfrage erklären
können.
Wissenschaftler müssen darüber hinaus von
vorn herein, ohne auf Nachfrage zu warten, zumindest ihre
zentralen Begriffe klären. Wenn SportwissenschaftlerInnen
(sich und der interessierten Öffentlichkeit) ungefragt
mitteilen, was sie unter Sport verstehen und warum sie diesen
Begriff so verwenden, dann tun sie nur das Notwendige; wenn sie
es unterlassen, ist das ein schwerwiegendes Hindernis für
die Verständigung. In diesem Sinne ist das Definieren eine
notwendige Vorleistung für den Austausch von Erkenntnissen
und Meinungen (zumindest unter Wissenschaftlern).
Natürlich sind Definitionen nicht Instrumente,
die in erster Linie die Wirklichkeit verändern sollten oder
gar könnten; vielmehr soll hauptsächlich die
vorgefundene (objektiv gegebene) Wirklichkeit in ihnen klar und
trennscharf auf den (subjektiven) Begriff gebracht werden. "In
erster Linie", "hauptsächlich" - mit dieser Wortwahl habe
ich schon angedeutet, dass in allen Worten, also auch (oder erst
recht) in Definitionen, eine Vorstellung davon repräsentiert
ist, wie die Wirklichkeit auch sein könnte (oder
für mich sein sollte). Das macht die unhintergehbare
Subjektivität aus.
Ich verfolge mit meinen Worten (und damit auch
Definitionen) einerseits kein rein objektivistisches Ideal (das
sowieso nicht erreichbar ist). Andererseits verstehe ich meinen
Wortgebrauch auch nicht als nur subjektivistisch, voluntaristisch
oder gar konstruktivistisch. Dies bedeutet, dass ich die oben
angedeutete Priorität akzeptiere, in der beides aufgehoben
ist: Definitionen sollten so klar und trennscharf wie
möglich die Wirklichkeit auf den Begriff bringen und
zugleich in aller Feinheit zumindest andeuten, wie die
Wirklichkeit auch sein könnte (oder sollte).
Man kann mehrere Arten von Definitionen
unterscheiden: Real- (oder Wesens-) Definition,
Nominaldefinition, Feststellungsdefinition, ostentative und
operationale Definition. Ich schlage - entsprechend einer auf
Aristoteles zurückgehenden philosophischen Tradition - eine
so genannte Realdefinition (Wesensbestimmung)
vor. Sie soll das Wesen des Gegenstandes eines Begriffes
festlegen durch Angabe der nächsthöheren Gattung
(genus proximum) und des artbildenden Unterschiedes
(differentia specifica). Fehler kann man bei einer
regelrechten Definition machen, wenn sie z. B. zu eng oder zu
weit ist, Widersprüche enthält, unklar formuliert ist,
eine negative Formulierung oder gar das zu definierende Wort
selbst enthält (vgl. Regenbogen, Arnim; Uwe Meyer
(2013), Stichwort "Definition").
Wenn man eine solche Definition erarbeiten will,
wie sie übrigens in den meisten Wörterbüchern und
Lexika geboten wird, muss man sich zunächst also Gedanken
machen, zu welcher Gattung (Begriffsebene) Sport
gehört, welche Begriffe auf der selben Ebene angesiedelt
sind und welches die nächsthöhere
Gattung (Begriffsebene) ist. Den Begriff Apfel zum Beispiel der
Gattung Obst zuzuordnen, würde einen Schritt zu weit gehen,
weil Kernobst die nächsthöhere Gattung ist.
Für mich ist die nächsthöhere
Gattung (genus proximum) für den
Begriff "Sport" "Tätigkeitsfeld". Sport ist
für mich eines von vielen Tätigkeitsfeldern. Die
Fülle von Tätigkeitsfeldern habe ich schon etwas
eingeschränkt durch das Adjektiv "kulturell". Dieses Element
meiner Definition sowie alle anderen erläutere ich
ausführlicher weiter unten (Punkt 3).
Im zweiten Schritt muss man den
"artbildenden Unterschied" (differentia
specifica) benennen, was also das (kulturelle)
Tätigkeitsfeld Sport von anderen (kulturellen)
Tätigkeitsfeldern unterscheidet. Dies sollte so knapp und
klar wie möglich formuliert werden mit Worten bzw.
Begriffen, die möglichst allgemein verständlich sind.
Aus der grundsätzlichen Notwendigkeit, dass die hierbei
verwendeten Begriffe ja ihrerseits wieder definiert werden
müssten, folgern einige Autoren, dass ein solches Vorgehen
infinit oder gar zirkulär sei, was einen schwerwiegenden
Verstoß gegen die Definitions-Regeln darstelle; daher
könne bzw. solle man solches gar nicht erst versuchen.
Dieses Bedenken ist ebenso puristisch wie unfruchtbar. Meines
Erachtens ist es sowohl hinreichend als auch notwendig, die in
der Tat logisch denkbare Zirkularität als eine
"Unschärfe" in Kauf zu nehmen, um praktisch einen
großen Gewinn an begrifflicher Klarheit zu erwerben.
Klar ist, dass auch diese Definition
subjektiv ist, das sprachliche Ergebnis (m)einer Handlung und
(m)einer Entscheidung. Diese Subjektivität ist
unhintergehbar. Andere werden anders handeln und entscheiden,
formulieren und definieren. Wissenschaft besteht aus dem
Auseinandersetzen mit anderen Subjekten, ihren Handlungen,
Entscheidungen und Begriffen. Wissenschaftler bieten
grundsätzlich und öffentlich an, das eigene Handeln und
Entscheiden nachvollziehbar zu begründen und damit
nachprüfbar zu machen. Und anderen Wissenschaftlern begegnen
sie kritisch mit dem gleichen Aspruch.
Wenn Röthig und Prohl im
"Sportwissenschaftlichen Lexikon" behaupten, "eine präzise
oder gar eindeutige begriffliche Abgrenzung" von "Sport" lasse
"sich deshalb nicht vornehmen", so verweigern sie sich dem, was
(Sport-) Wissenschaft grundlegend ausmacht; sie bleiben damit im
Alltags-Sprachgebrauch - und mit ihnen inzwischen schon mehr als
eine Generation von SportwissenschaftlerInnen.
Übrigens: Der (logische) Schluss, der mit dem
Wort "deshalb" behauptet wird, ist unzulässig; denn aus den
(zutreffend benannten) Begriffseigenschaften "umgangssprachlich"
und "weltweit gebraucht" lässt sich nicht (einfach)
schließen, dass der Begriff "Sport" nicht "präzise
oder gar eindeutig" definiert (das ist "begrifflich abgegrenzt")
werden kann.
Alle Elemente meiner Sport-Definition sind
notwendig, und nur gemeinsam sind sie hinreichend. Dies
bedeutet, dass eine Tätigkeit schon dann nicht mehr zu
"Sport" gehört, wenn auch nur eines der definierenden
Elemente nicht gegeben ist. Dies ist eine Denkfigur, die eine
klare Abgrenzung ermöglicht, und das ist schließlich
der Wortsinn des Definierens.
2. Grenzen und Nutzen dieser
Sport-Definition
Mein Definitionsvorschlag deckt nur einen
Teil des alltags- und umgangssprachlichen "Sport"-Begriffs
ab. Hiernach kann vieles nicht (mehr) als Sport
bezeichnet werden (zumindest im wissenschaftlichen
Sprachgebrauch), was im Alltags-Sprachgebrauch so benannt wird
(z. B. "Gesundheitssport"). Der Unterschied ist schon
erheblich!
In vielen Diskussionen habe ich erfahren, dass
viele Menschen sich gegen diesen neuen Wortgebrauch
sträuben. Das ist wohl nicht nur ein Festhalten am
Gewohnten, es ist vermutlich vor allem die Abwehr eines
befürchteten "Angriffs" auf ein inzwischen gesellschaftlich
tief verankertes Wertebewusstsein: Sport bzw. Sportlichkeit wird
von den meisten Menschen unserer Gesellschaft als ein hoher Wert
empfunden und ist als solcher emotional tief verankert; dies gilt
wohl erst recht für die meisten SportwissenschaftlerInnen.
Ein deutlich engerer Sport-Begriff scheint in den Augen (bzw.
"Herzen"!) vieler Menschen einen Teil ihres Lebensstils infrage
zu stellen, den sie als "sportlich" verstehen (wollen).
Die von mir vorgeschlagene begriffliche Umstellung
mag - zumindest anfangs - zu erheblicher Unsicherheit
führen. Mein Vorschlag, für die nach meiner
Definition nicht (mehr) unter "Sport" begrifflich einzuordnenden
Tätigkeiten "Bewegungskultur" als einen umfassenderen
Oberbegriff zu verwenden, scheint für viele den als
emotional bedeutsam empfundenen "Verlust der Sportlichkeit"
für einige Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsfelder nicht
einfach kompensieren zu können.
Der meines Erachtens größte und
allgemeine Nutzen dieser Begriffsklärung entsteht für
den sport-wissenschaftlichen Diskurs: Wenn
Sportwissenschaftler voneinander wissen, was sie jeweils unter
"Sport" verstehen, können sie - gerade bei verschiedenen
Auffassungen - mit einander reden in klarem Bewusstsein ihres (je
unterschiedlichen) Gebrauchs des zentralen Begriffs ihrer
Wissenschaft. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass
jede(r) einen eigenen Sportbegriff (erarbeitet und mitgeteilt)
hat.
Übrigens: Die KollegInnen, die für einen
Begriffswechsel von "Sport"- zu "Bewegungs"-Wissenschaft
plädiert haben, sind damit zwar der Notwendigkeit, "Sport"
als zentralen Begriff ihrer Wissenschaft zu definieren,
(scheinbar) ausgewichen, aber sie haben damit ihr Problem nur
erheblich vergrößert. Was hat nicht alles mit Bewegung
zu tun! Mich wundert überhaupt, dass nicht schon längst
Vertreter der Philosophie, der Physik, der Soziologie, der
Psychologie oder vieler anderer Wissenschaftsbereiche protestiert
haben gegen den Anspruch, den (ehemalige) Sportwissenschaftler
seit geraumer Zeit erheben, die Wissenschaftler der
"Bewegung" zu sein - zumal im ansprüchlichen Singular
"Bewegungswissenschaft". Ist doch Bewegung ein sehr komplexer
Begriff und zentral in sehr vielen Wissenschaftsbereichen!
Eine "eigene" Definition von "Sport" zu erarbeiten,
erschien mir schon seit Längerem aufgrund allgemeiner
wissenschaftstheoretischer Überlegungen notwendig. Ich rang
mich aber erst zu einem wirklichen Versuch durch, als ich mich
mit Vorarbeiten zu einer Gesamtdarstellung der Sportgeschichte
beschäftigte. Dabei musste ich die Begriffsfrage ernsthafter
als vorher klären: Was genau verstand ich unter "Sport"?
In sport-historischen Veröffentlichungen war
mir schon länger aufgefallen, dass viele Autoren sich -
meist schon in den Vorworten - sehr schwer taten, das Wort Sport
auf frühere Zeiten "anzuwenden"; ich nenne dies das
Anachronismus-Syndrom. Sie begründeten ihre
Bedenken meistens mit dem heutigen weiten, vieles früher
nicht Existente mit-umfassenden Gebrauch des Sport-Begriffs.
Damit begaben sie sich in eine begriffliche "Sackgasse"; denn mit
welchen Worten sollten sie die damaligen Phänomene benennen?
Und tauchen dann nicht weitere begriffliche Bedenken auf?
Dieses Begriffsdilemma kann ich nur vermeiden,
indem ich prüfe, ob ich von "Sport" sowohl in der Gegenwart
als auch in der Vergangenheit reden (und schreiben) kann. Dies
wiederum setzt eine klare Begriffsbestimmung voraus.
Mit meiner Definition habe ich
eine meines Erachtens brauchbare Lösung gefunden. Die
Definition ist zwar ursprünglich aus der Untersuchung der
gegenwärtigen Verhältnisse entstanden, aber aufgrund
ihrer allgemeinen Formulierung kann man meines Erachtens
auch das Wesen dessen erfassen, was (natürlich aus
heutiger Sicht) in auch weit zurückliegender Zeit
als "Sport" bezeichnet werden kann.
Um die große Lücke zu füllen
zwischen meinem engen Sport-Begriff und dem grenzenlosen
Sportbegriff, der im Alltag und leider auch von den meisten
SportwissenschaftlerInnen benutzt wird, schlage ich vor,
ergänzend ein Wort mit größerem Bedeutungsumfang
zu benutzen: "Bewegungskultur". Deshalb werde ich zukünftig,
wenn ich den Bereich des heutigen Alltagsbegriffs "Sport"
erfassen will, von "Bewegungskultur und Sport"
sprechen. Einen Vorschlag zur Definition des
Begriffs "Bewegungskultur" habe ich - mit Erläuterungen
- ebenfalls im Internet veröffentlicht und
erläutert:
"Bewegungskultur" ist ein
Tätigkeitsfeld, in dem Menschen sich mit ihrer Natur und
Umwelt auseinandersetzen und dabei bewusst und absichtsvoll ihre
körperlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln,
gestalten und darstellen, um einen für sie bedeutsamen
individuellen oder auch gemeinsamen Gewinn und Genuss zu
erleben.
Wenn man "Sport" und "Bewegungskultur" als Begriffe
so benutzt, wie ich vorschlage, ist unwichtig, wann und wie diese
Worte bisher verwendet worden sind; denn mit (m)einer Definition
kläre ich, wie ich ein Wort jetzt (und zukünftig)
benutzen will, was es für mich hier und jetzt bedeuten
soll.
Die viel diskutierten terminologischen Bedenken von
SporthistorikerInnen (das von mir so genannte
Anachronismus-Syndrom, unter dem insbesondere Autoren leiden, die
zur antiken Sportgeschichte forschen) beruhen meines Erachtens
darauf, dass diese Autoren sich nicht imstande gesehen (oder
gescheut) haben, den Bedeutungsgehalt des Begriffs "Sport" (durch
eine Definition) zu klären. Wenn man sich dieser -
zugegeben: schwierigen - Aufgabe aber stellt, sind solche
Bedenken überwindbar. Einige (insbesondere US-amerikanische)
Autoren (wie Mandell, Poliakoff und Guttmann) haben dies auf ihre
(unterschiedliche) Weise gezeigt. Über die Brauchbarkeit
einer jeden Begriffsbestimmung kann natürlich (und sollte
gern) gestritten werden - mit wissenschaftlichem Anspruch.
Der bisher meines Erachtens klarste Vorschlag
für eine Definition von "Sport" stammt von Meinhard Volkamer
(1984): "Sport besteht in der Schaffung von willkürlichen
Hindernissen, Problemen oder Konflikten, die vorwiegend mit
körperlichen Mitteln gelöst werden, wobei die
Beteiligten sich darüber verständigen, welche
Lösungswege erlaubt oder nicht erlaubt sein sollen."
Merkwürdig erscheint mir, dass Volkamer in seiner Fassung
von 1987 die Bindung an verabredete Regeln aus seinem
Definitionsvorschlag entfernt hat.
Ein (seltenes) Beispiel für die (hoffentlich
fortgesetzte) Diskussion um einen Sport-Begriff (insbesondere
für Sporthistoriker) ist die Kontroverse im ersten Heft der
Zeitschrift "Sport und Gesellschaft - Sport and Society" von 2004
zwischen Christiane Eisenberg und Michael Küger, in der
Eisenberg - meines Erachtens zu Recht - Krüger
(stellvertretend für die meisten übrigen deutschen
Sporthistoriker und -wissenschaftler) vorhält, keinen klaren
Sport-Begriff (zu haben und) zu benutzen. Sie hat mit einem (von
mir nicht geteilten) Definitionsvorschlag wenigstens die bisher
sträflich vernachlässigte wissenschaftliche Diskussion
gefördert.
3. Erläuterung der einzelnen
Elemente meiner "Sport"-Definition
Zur Klärung erläutere ich im
Folgenden kurz die einzelnen Elemente meiner
"Sport"-Definition:
"Tätigkeitsfeld": Dies ist
das "genus proximum" für den zu
definierenden Begriff "Sport". Tätigkeitsfeld (nicht:
Tätigkeit!) soll klären, dass es sich bei "Sport" um
einen abstrakten Sachverhalt handelt, nicht etwa um einen
Gegenstand, Zustand o. ä. "Sport" ist auch kein Begriff
für eine Tätigkeit, sondern ein Ober-Begriff (ein Feld)
für viele Tätigkeiten. Schwimmen, Laufen oder Segeln
sind nicht von vornherein gleich Sport, sondern sind Worte
für bestimmte Tätigkeiten, die - nur in einer
bestimmten Ausprägung! - zum (kulturellen)
Tätigkeitsfeld Sport gehören können. In
anderer Ausprägung können sie auch Worte für zum
Beispiel Alltagstätigkeiten sein; dann gehören sie zum
Tätigkeitsfeld Alltag.
Wenn man eine Tätigkeit benennen will, muss
man ein Verb (Tuwort) benutzen. Im Deutschen haben wir leider
kein einfaches (etwa "sporten"), sondern nur ein
zusammengesetztes: "Sport treiben" bezeichnet allgemein
Tätigkeiten im Tätigkeitsfeld Sport (= sportliche
Tätigkeiten). Durch die Zusammensetzung der Worte "Sport"
und "treiben" wird übrigens auch deutlich, dass "Sport" ein
abstrakter Begriff ist, der ein Verb dazu braucht, die
Tätigkeit in diesem Feld zu benennen (ähnlich im
Englischen).
Dass die Handelnden Menschen (also z. B. nicht
Tiere) sind, erscheint mir eigentlich selbstverständlich,
muss aber doch klar formuliert werden; es gibt nämlich
Autoren, die die These vertreten, auch Tiere betrieben "Sport"
(bzw. "Leibesübungen", Neuendorff 1930; ähnlich
argumentiert auch Weiler 1989). Dies wird durch die folgende
Erläuterung zu "kulturell" hoffentlich noch deutlicher.
"Tätigkeitsfeld" bedeutet auch, dass die
Menschen in diesem Feld selbst etwas tun, aktiv handeln, und zwar
in Verbindung mit den anderen Definitionselementen. Menschen, die
zum Beispiel anderen Sporttreibenden bloß zuschauen,
handeln also nicht im Tätigkeitsfeld Sport, sondern in
anderen Tätigkeitsfeldern, die allerdings in einen
Zusammenhang mit Sport gebracht werden (können).
(Randalierende) Fußball-"Fans" sind für mich also
nicht unbedingt ein Thema für Sportwissenschaftler, sondern
in erster Linie eines für Psychologen, Soziologen o.
Ä.
"kulturell": Auf der Grundlage der
natürlichen Umstände und Bedingungen, die von den
Menschen in historisch zunehmendem Ausmaß auch
verändert (wurden und) werden, entwickeln die Menschen ihre
Lebensformen kulturell / gesellschaftlich. In der
Stammesgeschichte des "homo" bedeutet die Fähigkeit zur
(Selbst-) Reflexion einen entscheidenden Schritt zur Entwicklung
von Kommunikation, Sprache und freiem, spielerischem Denken. Erst
nach diesem Entwicklungsschritt kann man von "Sport" (und anderen
kulturellen Tätigkeitsfeldern wie "Kunst") reden.
Kultur ist die bewusste, reflektierte Gestaltung der
eigenen Entwicklung, sowohl auf der Ebene der
menschlichen Gattung als auch auf der des einzelnen Menschen.
Die kulturelle Eigenschaft des Sports wird
besonders deutlich an der Entwicklung der Sport-Regeln (siehe
dazu auch unten!); hier haben Menschen darüber
nachgedacht, wie sie den kämpferischen Vergleich mit anderen
Menschen so gestalten wollen und können, dass er sich zum
Beispiel vom blutigen Ernst, wie er teilweise noch im 23. Gesang
der Ilias geschildert wird, entwickeln konnte zum spielerischen
Kampf um die höhere Bewegungskunst.
Die kulturelle Eigenschaft des Sports wird aber
nicht dadurch "erwiesen", dass sich Menschen in anderen
kulturellen Tätigkeitsfeldern - wie zum Beispiel bildende
Kunst oder Literatur - mit Sport beschäftigt haben. Diese
(falsche) Denkrichtung wurde (und wird immer noch) gern in
Festreden verbreitet, bleibt aber irreführend als Versuch,
Sport als relativ neues Kulturfeld mit den Weihen schon
anerkannter Kulturgebiete aufzuwerten. Solche unseriösen
Denkfiguren schaden eher, sie sind vor allem überhaupt nicht
nötig.
"freiwillig": Dieses Kriterium
schließt solche Menschen aus, die unter Druck oder Zwang
handeln, auch wenn sonst ihre Tätigkeit alle übrigen
Kriterien für Sport erfüllt, z. B. die meisten
Gladiatoren in römischen Arenen (siehe dazu unten die
Bemerkungen zu "auf Grundlage der gesellschaftlich akzeptierten
ethischen Werte"!) .
Freiwilligkeit sollte übrigens nicht mit
Freudigkeit (o. Ä.) verwechselt werden! Der gegenwärtig
so genannte "Schulsport" gehört beispielsweise, obwohl er
von vielen als freudvoll erlebt werden kann, für mich nicht
zu Sport, insoweit er Bestandteil des Pflichtunterrichts ist
(Schulpflicht, Schulzwang!), also (bis zu einem gewissen Alter)
nicht freiwillig betrieben wird. Der alte Begriff
"Leibeserziehung" war da ehrlicher.
Auch bei der Bundeswehr (und anderen geschlossenen,
Zwangs-Institutionen) sollte man nicht von "Dienstsport"
reden, sofern diese Tätigkeit zum Dienst
gehört, also nicht freiwillig ausgeübt wird;
Fitnesstraining wäre schon angemessener; noch ehrlicher
wären wohl die Begriffe Kampftraining oder (para-)
militärisches Training, sofern Bewegungsformen mit Waffen
geübt werden.
Außerhalb von Schulunterricht,
Militärdienst usw. können dieselben Menschen
selbstverständlich Sport treiben, nur eben freiwillig; aber
innerhalb solcher Zwangssysteme sollte man auf diesen
Etikettenschwindel verzichten. Pflichtsport ist für mich ein
Widerspruch in sich.
Die möglicherweise anfangs gegebene und
erlebte Freiwilligkeit können (bzw. müssen) Sportler
und Sportlerinnen unter den Bedingungen des "Profitums"
allmählich aufgeben bzw. verlieren. Der so genannte
"Profi-Sport" funktioniert weitgehend wie ein Zwangssystem, aus
dem die Menschen zumindest nicht einfach und leicht "aussteigen"
können. Diese Umstände legen manchmal die (in meinen
Augen richtige) Aussage nahe: "Das ist doch kein Sport (mehr)!"
Auch der häufige Vergleich (bzw. genauer: die Gleichsetzung)
heutiger Berufssportler mit antiken Gladiatoren hat hierin seine
(eingeschränkte) Berechtigung.
"sich in eine Beziehung zu anderen Menschen
begeben": Ein vereinzelter Mensch ohne Beziehung zu
anderen ist (schon biologisch) kaum lebensfähig.
Gesellschaftlich-kulturelles Leben ohne menschliche Beziehungen
wäre ein Widerspruch in sich. Über diese (banale)
Grundeinsicht hinaus wird eine "sportlich" zu nennende
Tätigkeit dadurch erst begründet, dass ein Mensch sich
in diesem Tätigkeitsfeld durch dieses sein Tun mit
(zumindest einem anderen) Menschen in eine besondere,
vergleichende (siehe dazu unten die Bemerkungen zu
"vergleichen"!) Beziehung begibt.
Vergleichende Beziehung bedeutet für mich,
dass sie nur für Menschen untereinander gilt als prinzipiell
gleiche Wesen. Mit einem Berg beispielsweise kann sich kein
Mensch vergleichen, auch wenn umgangssprachlich "der Berg" als
(sportlicher?!) "Gegner" bezeichnet wird, sogar von sonst
seriösen Sportwissenschaftlern (wie von Güldenpfennig).
Für mich ist das keine "Beziehung", sondern ein
"Verhältnis" (zu einem Ding).
Wer nur seine eigenen körperlichen
(Bewegungs-) Leistungen trainiert und miteinander vergleicht mit
dem Ziel, sie möglichst zu übertreffen, hat keine
Beziehung zu einem anderen Menschen aufgenommen. Das ist
natürlich legitim, aber er treibt nicht Sport in meinem
Sinne, sondern Bewegungskultur: Ein solcher Mensch setzt sich mit
seiner Natur (und Umwelt) auseinander und entwickelt bewusst
seine insbesondere körperlichen Fähigkeiten und
Fertigkeiten, um einen für ihn bedeutsamen Gewinn und Genuss
zu erleben. Dies entspricht genau meiner Definition von
"Bewegungskultur". Und es ist nicht weniger gut, hat auch nichts
Abwertendes, sondern ist einfach nur etwas anderes als Sport (in
meinem Sinne).
Eine Beziehung mit einem anderen Menschen kann auch
über zeitliche und örtliche Grenzen hinweg innerlich,
in der Vorstellung aufgenommen werden, mit einem
Menschen an einem ganz anderen Ort, sogar mit einem nicht mehr
lebenden Menschen (als Vorbild oder Konkurrent). Eine solche
mittelbare, innere Beziehung liegt dem Rekord-Prinzip
im Sport zugrunde, nach dem es um das Ziel geht, irgendwann schon
einmal erreichte Leistungen zu übertreffen, über die
ein glaubwürdiger Bericht (das ist die ursprüngliche
Bedeutung des englischen Worts "record") vorliegt.
Meines Erachtens ist das "Rekord-Prinzip" im
Sport verzichtbar. Es kommt grundsätzlich nicht darauf
an, eine Leistung zu erbringen, die bisher nicht übertroffen
worden ist (Superlativ), sondern im konkreten Vergleich hier und
jetzt eine bessere als die Konkurrenten (Komparativ). Die
Fixierung auf das Erreichen immer neuer Höchst- und
Bestleistungen (Rekorde) ist nicht nur für die SportlerInnen
gesundheitsgefährdend, sie ist auch allgemein nicht gut
für die Gesellschaft (vergleiche meinen Vortrag
"Zum Umgang mit
Zeit und Geschichte im Sport - wider die
Rekordsucht").
Im Wettkampf selbst, in dem das
Hier-und-Jetzt-Prinzip gilt, ist die Beziehung
unmittelbar: Die anderen Menschen sind mir bekannt,
zeitlich und räumlich nah (und ich ihnen), der angestrebte
Vergleich findet direkt mit ihnen statt.
Das Aufnehmen einer Beziehung zu einem anderen
Menschen und die damit verbundenen Absichten und Ziele sind - als
psychische Prozesse - in den einzelnen, konkreten Handlungen von
außen nicht immer einfach zu erkennen, manchmal
überhaupt nicht. Die Absichten und Ziele sind aber meines
Erachtens entscheidend für die Beziehung der beteiligten
Menschen und damit dafür, ob ihre Handlungen im
Tätigkeitsfeld Sport anzusiedeln sind oder nicht. Deshalb
muss man den (sozialen und) psychischen Zusammenhang genau
betrachten.
Ein Beispiel: Wenn ich sprinte, um einen Bus noch
zu erreichen, handle ich nicht sportlich. Die Handlung des
Sprintens mag von außen betrachtet (fast) dieselbe sein wie
die eines Sportlers beim Training oder Wettkampf; aber mein
Sprint zum Bus geschieht nicht, um mich - auf der Ebene dieser
Handlung! - mit anderen Menschen in eine (vergleichende)
Beziehung zu begeben. Beim sportlichen Training oder im Wettkampf
hingegen sprinte ich, um mich - auf der Ebene dieser Handlung! -
mit anderen Menschen in eine (vergleichende) Beziehung zu
begeben.
Vielleicht werden die Bedeutungs-Grenzen noch
klarer, wenn ich das eben angeführte Beispiel gedanklich auf
die Spitze treibe: Wenn ich beim Sprint zum Bus von der anderen
Seiten einen anderen Menschen aus gleicher Entfernung ebenfalls
zum Bus sprinten sähe und mich mit ihm irgendwie
verständigte, wir könnten beide darum streiten,
wetteifern, wer von uns eher die Bustür erreichte, dann
wären alle Definitionselemente für "Sport" gegeben: Aus
dieser kleinen Alltagssituation hätten wir beide eine
kleine, flüchtige Sport-Situation gemacht.
Bei vielen Tätigkeiten, die umgangssprachlich
dem (Tätigkeitsfeld) Sport zugerechnet werden, fehlt
überhaupt schon das Beziehungs-Element auf der
Tätigkeitsebene selbst, und / oder es fehlt das Ziel des
Vergleichs nach Regeln (siehe dazu weiter unten!), zum
Beispiel beim Bewegungstraining zum Zwecke der Rehabilitation (so
genannter "Gesundheitssport"), beim Joggen (außer als
Training für einen Wettkampf), Jonglieren, Tanzen
(ausgenommen Turniertanzen), Fitnesstraining oder "body shaping";
sie sind deshalb für mich nicht sportliche Tätigkeiten,
auch wenn die Menschen bei oder mit dieser Tätigkeit
möglicherweise eine andere Beziehungsart (z. B.
Geselligkeit) leben. Die Beziehung zu (mindestens) einem anderen
Menschen muss für die Tätigkeit selbst notwendig sein,
in ihr und durch sie gelebt werden, und sie muss die weiteren
Definitionselemente enthalten (Absicht des Vergleichens usw.),
wenn die Tätigkeit zum Tätigkeitsfeld "Sport"
gehören soll. Die eben aufgezählten und viele weitere
Tätigkeiten gehören für mich überwiegend zum
Tätigkeitsfeld "Bewegungskultur".
Die Grenzen sind allerdings nicht starr. Man kann
eben - wie im Beispiel (Sprint zum Bus) gezeigt und in der
Kulturgeschichte z. B. des Tanzens und des Turnens feststellbar -
vieles zu einer sportlichen Tätigkeit machen,
"versporten".
"Fähigkeiten": Die
unterschiedlich begabten Menschen haben bzw. entwickeln
unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten in unterschiedlichen
Tätigkeitsfeldern, so auch im Sport. Der Begriff
Fähigkeiten bezeichnet eher allgemeine, umfassende
Handlungsmöglichkeiten, die auf Begabung, genetischer
"Ausstattung", Konstitution, Übung und Erfahrung beruhen
können, z. B. reaktionsschnell oder gelenkig oder ausdauernd
sein oder eine komplexe Situation schnell und richtig
einschätzen können.
Die teils erheblichen Unterschiede in den
Handlungsmöglichkeiten verschiedener Menschen - angeboren
oder erworben - haben im Sinne eines "fairen" Vergleichs der
"Bewegungskunst" (siehe unten!) im Laufe der
Kulturgeschichte zu unterschiedlichen Klassifizierungen der
Konkurrierenden geführt, insbesondere nach Alter,
Körpergewicht, Geschlecht und Art einer Behinderung (in
dieser historischen Reihenfolge).
Da jede solche Klassifizierung eine
(willkürliche) Regelung (siehe unten!) darstellt,
kann und sollte über sie gestritten werden. Dass zum
Beispiel nicht (auch) nach Körperlänge klassifiziert
wird, führt dazu, dass in einigen Sportarten kleine Menschen
kaum eine Chance haben gegenüber großen (und manchmal
umgekehrt); ich halte dies für problematisch; es kann aber
(auch) geregelt werden.
"Fertigkeiten": Dieser Begriff
bezeichnet speziellere Handlungsmöglichkeiten, kleinere
Handlungs-Elemente, die insbesondere durch intensives Üben
(Training) erworben / entwickelt werden können, z. B. sicher
mit Hanteln umgehen, einen Salto springen oder (beim Segeln) eine
schnelle Wende / Halse fahren können.
Es war zumindest früher möglich, dass
(erwachsene) Menschen allein aufgrund ihrer natürlichen und
kulturellen Lebensumstände über bestimmte
Bewegungs-Fähigkeiten bzw. -Fertigkeiten so hohen Niveaus
verfügten, dass sie ohne zusätzliche besondere
Trainingsanstrengung sportlich nicht nur konkurrenzfähig,
sondern Menschen aus anderen kulturellen Bereichen überlegen
waren, z. B. der äthiopische Marathonläufer Bikila
Abebe 1960 in Rom (damals sogar barfüßig) und noch
1964 in Tokio (dann allerdings mit Laufschuhen).
Im Allgemeinen - auch bei Bikila Abebe, allerdings
auf eine kulturell andere Weise - besteht die Entwicklung
sportlicher Handlungsmöglichkeiten aus einem langen Prozess
des Lernens, Übens, Trainierens, meist unter Anleitung. Dies
ist schon in früheren Zeiten und Kulturen meistens so
gewesen.
Es gab aber auch "Naturtalente", die - nur
scheinbar - "einfach so" in den von Europäern (und
US-Amerikanern) entwickelten "Sportarten" konkurrenzfähig
gewesen wären. Anfang des 20. Jahrhunderts stellten
europäische Kolonisatoren beispielsweise im heutigen Ruanda
erstaunt fest, dass es bei den "Watussi" (heute: Tutsi) viele
junge Männer gab, die Höhen übersprangen, die weit
über damaligen Hochsprung-"Weltrekorden" lagen. Diese
Fähigkeit erwarben sich die jungen Tutsi aber nicht für
einen (sportlichen) Wettkampf, sondern als Beweis ihrer
erworbenen Mannbarkeit. Es war eine gesellschaftlich verankerte
Form von Bewegungskultur. (Vgl. meinen Vortrag "Sport-Bilder - ihre Bedeutung
für Sport-Historiker".)
"in der Bewegungskunst": Jede
Tätigkeit hat einen - wenn auch möglicherweise geringen
und äußerlich kaum wahrnehmbaren - Bewegungs-
(motorischen) Anteil. Eine Kennzeichnung des zu definierenden
Tätigkeitsfelds nur mit dem Begriff Bewegung
wäre darum wenig trennscharf.
Mit dem Wortteil (Bewegungs-) "-kunst" will ich auf
eine abstufende Betrachtung der Qualität der
Bewegung hinweisen, durch die eine Abgrenzung insbesondere
von alltäglichen Bewegungen deutlich wird. Statt "in der
Bewegungskunst" könnte ich auch "in der
gekonnten Bewegung" sagen. "Kunst kommt von
Können" - dieses Sprichwort ist beim Wortbestandteil "Kunst"
in meinem Kopf gewesen, und nicht etwaige ästhetische
Bedeutungs-Möglichkeiten von Kunst. Der Punkt, an dem Art,
Ausmaß und Bedeutung der (gekonnten) Bewegung hinreichen,
um eine Tätigkeit als sportlich zu bezeichnen, ist damit
nicht festgelegt, sondern bleibt in dieser Definition offen;
hierüber kann und muss diskutiert und gestritten werden.
Es muss auf die gekonnte Bewegung
ankommen, sie muss im Mittelpunkt der Tätigkeit
stehen. Wie viel Kalorien dabei verbraucht werden, ist nicht
wesentlich. Der Satz "Sport ist, wenn man schwitzt und hinterher
duscht." bleibt ein netter Definitionsscherz.
So zählt zum Beispiel Schachspielen für
mich nicht zum Sporttreiben, da es beim Schachspielen auf
Fähigkeiten und Fertigkeiten im Gebiet der Bewegungskunst
nicht wesentlich ankommt, sondern auf die gedanklich-strategische
und -taktische Tätigkeit. Schachspieler hoher
Könnensstufen brauchen sich so gut wie überhaupt nicht
zu bewegen; sie brauchen sich nur gegenseitig zu sagen "e2-e4"
und "e7-e5" usw., um eine Partie Schach nach allen Regeln der
Kunst zu spielen (z. B. im Fernschach). Dass Schachspieler sich
bei ihren Wettkampfspielen auch körperlich beanspruchen und
sich deshalb manchmal auch einem Konditionstraining unterziehen,
ändert nichts daran, dass es auf ihr Bewegungshandeln nicht
wesentlich ankommt. Bei Turnieren mögen sie in Schweiß
geraten, aber das bleibt im Rahmen alltäglicher leiblicher
Belastung, die mit trainierter Kondition eben besser auszuhalten
ist.
Das "Klötzchenschieben" der Schachspieler
bleibt im Bereich der Alltagsbewegungen, ist ja sogar
grundsätzlich verzichtbar und jedenfalls nicht im Gebiet der
Bewegungskunst anzusiedeln. Auch beim "Blitzen" kommt es nicht
wesentlich auf die Bewegung an. Es ist natürlich hilfreich,
mit konzentrierter Bewegung die Uhr des Gegners so schnell wie
möglich in Gang bringen zu können; entscheidend bleibt
aber die geistige Leistung, die richtigen Züge zu
machen.
Nur der sogenannte Bestandsschutz verhindert
übrigens, dass der deutsche Schach-Spitzenverband als
(Gründungs-) Mitglied des Deutschen (inzwischen
"Olympischen") Sportbundes ausgeschlossen wird. Allen Beteiligten
ist wohl klar, dass Schachspielen keine Sportart ist. Nachdem das
Internationale Olympische Kommittee (IOC) außer
Schachspielen sogar Bridgespielen als Sportart anerkannt hat, hat
es für mich spätestens jede Glaubwürdigkeit als
"Hüter" der Idee des Sports verloren (auch wenn ich selbst
gern Schach und Bridge spiele).
Ein etwas anders gelagerter Grenzfall ist der
"Motorsport", insbesondere der "Automobilsport". Hier scheint es
zu einem bedeutsamen Teil auf die Qualität des Geräts
anzukommen, das den Fahrern zur Verfügung steht
(ähnlich übrigens auch im "Pferdesport", siehe
unten). Als Michael Schumacher, "Rekordweltmeister" in der
Formel 1, in der Saison nach seiner letzten Titelverteidigung
fast nie mehr in der Spitze mitfahren konnte, weil sein (neues)
Gerät offensichtlich schlechter als die Geräte der
Konkurrenten war, zeigte sich, dass es im "Automobilsport"
(zumindest in der Formel 1) wohl doch zum größeren
Teil auf das Gerät ankommt als auf den Fahrer, der (damals)
auch von seinen Konkurrenten nach wie vor als der (eigentlich)
Bessere geachtet wurde. Weil es für mein
Sportverständnis aber auf die menschliche Bewegungskunst
ankommen muss, zähle ich Autorennen nicht zu den
Sport-Ereignissen.
Ähnlich fragwürdig scheint es mir beim
Dressur- und Springreiten, wo oft die Klasse des Pferdes den
Vergleich bestimmt. Man denke nur an die "Wunderstute" Halla, die
1956 in Stockholm den verletzten und schwer sedierten Hans
Günther Winkler im zweiten Umlauf des Springreitens
fehlerlos zum Gewinn der Goldmedaille ins Ziel trug, oder an das
dereinstige "Wunderpferd" Totilas, das seinem neuen (Dressur-)
Reiter Matthias Rath den Sieg garantieren sollte - solange es
denn gesund war.
Das sportliche Prinzip könnte in solchen
Wettbewerben beispielsweise dadurch "gerettet" werden, wenn sich
zumindest die für einen Endkampf (zum Beispiel der letzten
Vier) qualifizierten Menschen mit allen jeweils anderen
Geräten bzw. Pferden bewähren müssten. Beim Reiten
hat es eine solche Regel übrigens früher schon einmal
gegeben.
Beim Flachrennen von Pferden werden ehrlicherweise
die jeweiligen Pferde als "Sieger" benannt, die (wechselnden)
Jockeys erst in zweiter Linie; das ist offensichtlich keine
Sportart im Sinne meiner Definition, auch wenn sich die Betreiber
und Fans traditionell (mit nostalgischer, obsoleter
"historischer" Begründung) dem Sport zurechnen. Dass
darüber hinaus sogar die Züchter bzw. jeweiligen Eigner
der Pferde ebenfalls wie sportliche Sieger gefeiert werden (zu
Unrecht; denn sie sind nun wirklich nicht aktiv im Feld der
gekonnten Bewegung), weist auf die spät-feudalen
Ursprünge dieses gesellschaftlichen Phänomens hin, die
in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft weiter gepflegt
werden.
Häufig ist mir - gerade mir, einem
ausübenden Geiger und Bratscher! - entgegengehalten worden,
Musiker müssten mit ihren Instrumenten doch höchste
Bewegungskunst praktizieren, sie begäben sich in Beziehung
zu anderen Menschen, auch dort würden Leistungsvergleiche
angestrebt und organisiert usw., kurz: Nach meiner Definition sei
Musizieren mit Instrumenten doch wohl auch zum "Sport" zu
rechnen. Dem steht - trotz der Richtigkeit der einzelnen Aussagen
- entgegen, dass das Bewegen für Instrumentalmusiker Mittel
zum Zweck ist, dass der Sinn des Musizierens nicht in der
(gekonnten) Bewegung besteht, sondern dass die Bewegung beim
Musizieren dazu dient, (wohl klingende) Töne zu
erzeugen, wie übungsbedürftig, anstrengend und
schweißtreibend auch immer diese Tätigkeit sein
mag.
Beim Sport kommt es darauf an, durch gekonnte
Bewegung(en) eine vorher verabredete und geregelte Anforderung zu
meistern und dabei möglichst besser zu sein als die anderen;
die leibliche (vielleicht besser als "körperliche"!)
Bewegungskunst ist das Bestimmende, das, worauf es ankommt. Das
Ausmaß der leiblichen Bewegung ist damit nicht
festgelegt.
Ein in Diskussionen mit mir häufig strittiges
Gebiet ist beispielsweise auch die Frage, ob (die olympische
"Sportart") Schießen nach meiner Definition zum Sport zu
zählen ist oder nicht - abgesehen vom Schießen der
Jäger, Soldaten, Polizisten o. Ä. natürlich. Die
Tatsache, dass es beim Zielen wesentlich darauf ankommt, Bewegung
zu kontrollieren, mit der Tendenz, sie weitgehend
einzuschränken (besonders deutlich beim Biathlon, wenn die
vom Laufen angestrengten AthletInnen gegen ihre vom heftigen
Atmen verursachten Bewegungen ankämpfen), spricht scheinbar
dafür, Schießen als nicht in die Definition passend
anzusehen. Für mich ist es aber eine besondere Kunst, die
leibliche Bewegung so zu steuern, so gekonnt zu
beherrschen, dass dabei eine erfolgversprechende Situation
herbeigeführt wird, die ich zum Treffen des Ziels nutzen
kann. Auf das von außen sichtbare Ausmaß der
Bewegung kommt es hier (beim Schießen) und
grundsätzlich nicht an. Wer sich je im Sportschießen
(mit Pistole oder Gewehr) versucht hat, wird das bestätigen;
beim Schießen auf bewegliche Ziele (Trap) sowie beim
Bogenschießen werden dies wohl auch die Laien
nachvollziehen können. Ähnlich kann man auch im
Hinblick auf die "Halte-" und "Stand-" Teile beim Turnen oder
Eiskunstlaufen argumentieren.
Im Übrigen sollte man grundsätzlich
überlegen, auf dem Gebiet des sportlichen Schießens
die derzeit benutzten (potentiell) tödlichen Waffen durch
neue Regeln durch nicht-tödliche zu ersetzen, notfalls per
Gesetz! Das entspräche der ethischen Verpflichtung am Ende
meiner Definition (siehe unten!).
"sich vergleichen": Die Menschen
mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten können und
wollen (offenbar in fast allen Kulturen) sich auch auf dem Gebiet
der Bewegungskunst mit anderen Menschen vergleichen, um in
verschiedenen Tätigkeitsweisen, die kulturell um der
besseren Vergleichbarkeit willen entwickelt wurden und noch
werden ("Sportarten"), den Besseren zu ermitteln. Dies geschieht
naturgemäß in Form eines direkten, geregelten
Vergleichs ("Wettkampfs") an einem bestimmten Ort zur selben Zeit
(mit oder ohne Zeugen und / oder "Schiedsrichter").
Seit dem 19. Jahrhundert sind auch indirekte
Vergleichs-Systeme entwickelt worden, die zunehmend mehr
Individuen oder Gruppen in Konkurrenz zueinander brachten und die
nicht auf eine punktuelle, sofortige Entscheidung angelegt waren
/ sind. Dafür haben die Menschen verschiedene Formen von
Vorausscheidungen, Herausforderungs- oder
Qualifikationswettkämpfen entwickelt, zunächst vor
allem in den Mannschaftssportarten (Ligen, Rundenspiele o.
Ä.), dann auch in den Einzelsportarten. Die Formen
solcher Vergleiche machen den empirischen Reichtum der
Sportgeschichte aus. Welche Motive hinter den einzelnen
handelnden Menschen oder den sie tragenden gesellschaftlichen
Gruppen standen, welche Bedeutung diese Vergleiche für sie
hatten, sind ebenfalls interessante historische und aktuelle
Begleitumstände.
Das bloße Zur-Schau-Stellen noch so hoch
entwickelter Fähigkeiten und Fertigkeiten auf dem Gebiet der
Bewegungskunst (zum Beispiel Artistik im Zirkus) ist für
mich keine sportliche Tätigkeit, weil (bzw. sofern) hierbei
die vergleichende Beziehung zu mindestens einem anderen Menschen
bei dieser Tätigkeit fehlt bzw. nicht wesentlich ist. Es
gibt ja viele ehemalige (Spitzen-) SportlerInnen, die in den
Showbereich gewechselt sind (zum Beispiel
EiskunstläuferInnen); sie wechseln nach meinem
Begriffsverständnis vom "Sport" zur "Bewegungskultur". Sie
führen ihre hohe Bewegungskunst vor, ohne dass sie damit
primär Vergleiche mit anderen Menschen anstrebten. Man kann
zwar auch verschiedene dieser Artisten miteinander vergleichen,
der Vergleich ist dann aber von außen an sie herangetragen
und liegt nicht wesentlich in ihrer eigenen Tätigkeit.
Da eigenes Handeln notwendiger Bestandteil meiner
Definition ist, sind auch alle diejenigen keine "Sportler", die
nur andere Menschen zu einem Vergleich im Gebiet der
Bewegungskunst anstiften, wie es z. B. die englischen "gentlemen"
in der spät-feudalistischen, früh-kapitalistischen Zeit
taten ("Patronatssport"). Sie ließen ihre Bediensteten oder
andere (bezahlte) Menschen gegeneinander antreten (im Laufen,
Reiten, Segeln etc.) und wetteten auf den Ausgang (daher
Wettkampf!).
Es mag irritieren, dass gerade diese ihre
delegierende Handlungsweise ("sportsmanship") kulturgeschichtlich
der Ursprung für den (frühen, englischen) Begriff
"Sport" ("sports") war. Andere Menschen für sich handeln zu
lassen, ist immer noch vereinzelt ein historisches
Überbleibsel im heutigen "Sport", wenn z.B. die Eigner
großer (und teurer, aber entsprechend den Regeln über
Konstruktion und Ausrüstung vergleichbarer) Segelyachten zu
Regatta-"Siegern" erklärt werden, selbst wenn sie gar nicht
mit an Bord waren. Sportler sind sie damit für mich
jedenfalls nicht. Als aktives Mitglied ihrer Crew sind sie es
selbstverständlich.
"nach selbstgesetzten oder
übernommenen Regeln": Da es beim Sport um
freiwillige Tätigkeiten sowie um einen Vergleich der
Bewegungs-Fähigkeiten und -Fertigkeiten geht, müssen
sich die Menschen in diesem Tätigkeitsfeld vereinbaren, auf
Regeln einigen oder bewährte übernehmen, nach denen der
Bessere, der Gewinner des Wettstreits, ermittelt und festgestellt
werden soll. Ohne eine solche Verabredung - für mich
selbstverständlich auf der Grundlage des Respekts vor dem
eigenen und fremden Leben (siehe unten!) - würde
aus Sport leicht ein zügelloser, vernichtender Kampf, Krieg
(vgl. meinen Beitrag "Gewalt, Kampf und Aggression in Sport und
Bewegungskultur"). Es spricht übrigens viel
für die Annahme, dass der todernste Zweikampf ein
"Vorgänger" des Sports ist, der im Laufe der kulturellen
Entwicklung eben durch Regel-Eingrenzung "entschärft",
"gezähmt" worden ist.
Die vereinbarten Regeln können noch so skurril
erscheinen, für Außenstehende nur schwer
verständlich sein; sobald sie allen beteiligten Handelnden
einsichtig und von ihnen akzeptiert sind, konstituieren sie
für sie ein eigenes (kulturelles) Tätigkeitsfeld - eben
Sport -, in dem dann auch mit regeln-ausnutzender Härte um
den "Sieg" gestritten, gekämpft wird.
Die in diesem Zusammenhang oft beschworene
"Fairness" ist ein weiterer zu klärender Begriff, der meines
Erachtens oft kulturgeschichtlich falsch verortet und
darüber hinaus übermäßig moralisch
aufgeladen wird. Der Kern von Fairness ist für mich, nicht
nur aus kulturgeschichtlichen Gründen, die Regelhaftigkeit
und die sich daraus ergebende Berechenbarkeit,
Verlässlichkeit, aufgrund derer alle Beteiligten
Handlungssicherheit erlangen, wenn sie um den Sieg streiten (oder
um materiellen Vorteil beim Tauschhandel; das englische Wort
"fair" heißt immer auch noch "Messe", bei der Waren
ausgestellt und getauscht, gehandelt werden). (Vgl. meinen
Beitrag "Ist Fairneß noch
gefragt? Vom Ethos des Sports (Statement)". In: Menschen im
Sport 2000. Statements zum Kongress „Menschen im Sport
2000“, Berlin, 5. - 7. 11. 1987. Hrsg.: DSB. Frankfurt:
Selbstverlag 1988. S. 49 - 51. Vorabdruck in: Hochschulsport,
Darmstadt, 15 (1988) 2/3, S. 4 - 5.)
"auf Grundlage der gesellschaftlich
akzeptierten ethischen Werte": An diesem
Definitions-Element habe ich lange "geknackt", und ich war lange
Zeit nicht ganz zufrieden. Zunächst hieß meine
Formulierung "ohne sie oder sich selbst schädigen zu
wollen". Ich wollte damit deutlich machen, dass ich jede
absichtliche Schädigung ausschließen will. Beim
Sporttreiben kann es aus Unachtsamkeit und in
unglücklichen Situationen, "im Eifer des Gefechts", zu
Schädigungen kommen; das ist ethisch aber kein
grundsätzliches Problem. Wichtig ist nur, dass keine Absicht
vorliegt, auch keine bewusste Fahrlässigkeit, kein
billigendes In-Kauf-Nehmen. Dies sollte immer (selbst-) kritisch
und gründlich geprüft und geklärt werden, notfalls
auch durch Schiedsrichter. Im besten Fall - und erfreulicherweise
nicht selten - gelingt dies, indem die Beteiligten sich direkt
hinterher kurz (oft ohne Worte, mit Blicken und Gesten)
verständigen und sich (zum Beispiel mit einem
versöhnlichen Handschlag) friedlich trennen, um nach dieser
guten Klärung wieder unbelastet und mit regelnausnutzender
Härte um den Erfolg im sportlichen Wettstreit zu
kämpfen.
In einer der vielen Diskussionen um den
Sportbegriff ist mir deutlich geworden, dass es allgemeiner und
besser ist, sich auf ethische Werte zu beziehen, und dass der
Zusatz "gesellschaftlich akzeptierte" die Normen als kulturell
dynamisch bezeichnet, ihre ständige Veränderung
(hoffentlich gute Weiter-Entwicklung!) deutlich macht, sowohl
innerhalb einer bestimmten Gesellschaft als auch im Vergleich
verschiedener Gesellschaften (vgl. das Beispiel
Pankration!).
Allgemein gilt in (fast) allen Gesellschaften, dass
niemand einen anderen Menschen absichtlich schädigen darf.
Dies gilt insbesondere auch für das
Verantwortungs-Verhältnis, das Erwachsene (Eltern, Trainer
usw.) gegenüber Kindern und Jugendlichen (nicht nur im
Sport) haben.
Meine frühere Formulierung, die
ausdrücklich auch die Selbstschädigung thematisierte,
war insbesondere vom Dopingproblem bestimmt. Das Dopen und andere
mögliche Formen der Selbstschädigung sind aber auch
durch die neue, allgemeinere Formulierung ausgeschlossen (sowie
teilweise durch den Bezug auf das sportartenspezifische
Regelwerk). Allerdings gibt es auf diesem Gebiet leider
skandalöse Verdrängungs- und
Vertuschungsbemühungen sowie zu schwache Kontroll- und
Sanktionsmöglichkeiten.
Auch im Tätigkeitsfeld Sport gelten
selbstverständlich zunächst einmal die allgemeinen
ethischen Normen; die in den Sportarten je besonders verabredeten
"Regeln" stellen weitere, ergänzende Normen dar.
Regelhaftigkeit ist ein notwendiges, aber nicht hinreichendes
Bestimmungsmerkmal für Sport; sie allein begründet noch
nicht einen ethischen Standard (siehe unten die
Bemerkungen zum Boxen), wie er gesellschaftlich
allgemein akzeptiert bzw. einzufordern ist.
In sport-ethischen Fragen ist für mich offen
und zu diskutieren, ob hier auch der juristische Grundsatz gilt
"lex specialis derogat legi speciali", d. h., ob eine spezielle
Sportart-Regel den allgemeinen Regeln vorangeht, sie aushebelt.
Ein Beispiel sind die derzeit geltenden Box-Regeln, nach denen es
"erlaubt" ist, seinen Kampfgegner (schwer) zu verletzen (siehe
unten!). Ich denke, dass dieser juristische Grundsatz im
Sport nicht gelten sollte. Diese Frage sollte aber allgemein und
in jedem Einzelfall intensiv und verantwortlich dikutiert
werden.
Ein positives Beispiel für den Primat
allgemeiner ethischer Normen gegenüber nur von der Sportart
begründeten Regeln ist im Segelsport - übrigens
ähnlich wie in der Straßenverkehrsordnung - das Gebot,
nach Möglichkeit ein "Manöver des letzten Augenblicks"
zu fahren, auch wenn man nach den Vorfahrtsregeln das Recht
hätte, seinen Kurs beizubehalten. Der Sinn ist
offensichtlich, niemand zu schädigen. Wer diese allgemeine,
übergeordnete Regel (ohne Not) nicht befolgt, wird trotz
seines "Wegerechts" für die folgende Kollision
mit-verantwortlich gemacht und möglichweise
disqualifiziert.
Sportartspezifische Regeln sind je nach Sinn und
Tradition einer Sportart manchmal ethisch problematisch,
insbesondere in Kampf- und Risikosportarten. Boxen ist zum
Beispiel für mich ein ethisches Grenzgebiet, weil es nach
den gegenwärtigen Regeln zum Sinn des Boxens
gehört, den Gegner mit regeln-ausnutzender Härte
tendenziell kampfunfähig zu machen und damit auch für
die Gesundheit schwerwiegende Folgen (bis zum Tod) für sich
selbst und den Gegner billigend in Kauf zu nehmen. Zahlreiche
Todesfälle direkt "im Ring" und noch zahlreichere Fälle
von schwerer gesundheitlicher Schädigung von Boxern sind
für mich hinreichend, Boxen in der derzeitigen Form
nicht als Sport zu begreifen.
Dabei könnten die Regeln von den
(internationalen) Boxverbänden so geändert werden, dass
diese schweren Begleitumstände bzw. Folgen entscheidend
gemildert würden, zum Beispiel durch Veränderung der
"Boxhandschuhe". Erst dann könnten wir unseren Kindern guten
Gewissens empfehlen, diesen erst nach grundsätzlicher
"Entschärfung" möglicherweise sehr interessanten Sport
auszuüben. Die halbherzigen Regelungen eines (in seiner
Wirksamkeit umstrittenen) Kopfschutzes haben das
Gesundheitsrisiko offenbar nicht entscheidend verringert.
Vor ungefähr vierzig Jahren hat es einen
völlig verdrängten, meines Erachtens
revolutionären Vorstoß vonseiten der
UdSSR-Box-Organisation gegeben, durch Veränderung der
Handhaltung in den Boxhandschuhen (in der Skizze oben) die
kinetische Energie (und damit die Wirkung) der geraden
Schläge auf schätzungsweise 5 Prozent herabzusetzen.
Dafür wurden neue Boxhandschuhe vorgeschlagen, in denen die
Mittelhand leicht nach oben gewinkelt und die Fingerglieder
leicht gekrümmt in einer offenen Stellung im Handschuh
gehalten würden (Quelle: Bericht der Tageszeitung
"Unsere Zeit" (uz) vom 29. 09. 1978).
Mit dieser Regeländerung wäre die
Gesundheitsgefährdung der Boxer durch zahlreiche kleine
Gehirnerschütterungen erheblich reduziert worden. Das Boxen
wäre in Richtung des Fechtens verändert worden, bei dem
ja auch nur symbolische Treffer, relativ leichte
Berührungen, erzielt werden, die mit hohem technischem
Aufwand festgestellt werden.
Dieser Vorschlag ist leider nicht aufgegriffen bzw.
abgelehnt worden. Man darf also vermuten, dass der Mehrheit der
Box-Verantwortlichen (selbst im Amateur- und Jugend-Bereich, um
den es damals "nur" ging!) daran gelegen war (und weiterhin ist),
dem Boxen den fragwürdigen "Reiz" möglicher
(erheblicher) Gesundheitsgefährdung zu erhalten.
Historisch ist meines Erachtens beim römischen
Gladiatorenwesen die ethische Grenze des Verbots der Fremd- bzw.
Selbstschädigung von vorn herein klar überschritten,
und zwar auch dann, wenn es sich bei den Gegnern um Freiwillige
gehandelt hat (was durchaus vorgekommen ist). Die Gladiatur
sollte deshalb meines Erachtens in Darstellungen zur
Sportgeschichte nicht behandelt werden; denn auch zur
Bewegungskultur kann ich sie nicht zählen.
In manchen sogenannten "Risikosportarten" wird die
Grenze der Selbstschädigung meines Erachtens auch erreicht
bzw. überschritten.
Über die konkrete Grenzziehung kann und muss
auch bei diesem Bestandteil meiner Definition in jedem Fall
gestritten (argumentiert) werden; jede(r) wird die Grenze
woanders ziehen wollen, sollte aber - gerade als
Wissenschaftler(in) - seine (ihre) Motive und Gründe
dafür offenlegen.
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